Die zwölf Regeln des Stoizismus Teil 2
Letzte Woche haben wir uns mit der ersten Hälfte der zwölf Regeln des Stoizismus befasst. Heute soll es um die folgenden sechs gehen. Hier nochmal eine kleine Erinnerung:
- Stoiker erobern den Morgen
- Fokussiere dich nur auf das, was du ändern kannst
- Schlage dich nicht mit imaginären Problemen herum
- Stoiker behandeln Erfolg und Versagen gleich
- Schließe jeden Tag nur eine Sache ab
- Triff gute Entscheidungen
- Stoizismus heißt sich zu fragen: „ist das notwendig“?
- Liebe dein Schicksal
- Sprich mit den Toten
- Sei Streng mit dir selber und tolerant mit anderen
- Stoiker gehen den Weg mit Hindernissen
- Denk immer daran, dass du jeden Tag stirbst
Lass uns gleich loslegen, damit du diese Woche mit ein paar guten Leitlinien starten kannst!
7. Stoizismus heißt sich zu fragen: „Ist das notwendig?“
Mehr denn je wurden wir in der jüngeren Vergangenheit dazu gezwungen, die Dinge um uns neu zu bewerten. Wir schauen auf unsere Jobs, unsere Finanzen und die Orte, an denen wir leben. Prüfen die Systeme, die um uns eingerichtet wurden, egal ob sie nun staatlicher, kultureller oder familiärer Natur sind. Zwangsweise müssen wir uns die Frage stellen, warum sie so sind und ob sie gut sind wie sie sind.
Schon die Verfechter des Stoizismus haben sich diese Fragen gestellt. Der römische Kaiser Marcus Aurelius erlebte eine Pest und musste jahrelang fern von Rom mit der Armee verbringen. Dort, in seinem Zelt, saß er mit seinem Tagebuch und führte ein Gespräch mit sich selbst.
Eine der besten Passagen:
„Das meiste, was wir sagen und tun, ist nicht wesentlich.“, schreibt er, „Wenn du es beseitigen kannst, hast du mehr Zeit und mehr Ruhe. Frage dich in jedem Moment: Ist das notwendig?“.
Es gibt keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, um durch dein Leben zu gehen und sich über alle Dinge die du machst, die du sagst und denkst klar zu werden: „Ist das notwendig?“, „Ist das wichtig?“, „Warum mache ich das?“.
Diese Frage solltest du dir jeden Tag stellen.
Wie viel oder wie wenig arbeitest du?
Wo wohnst du?
Wie schauen deine Beziehungen momentan aus?
Wofür gibst du Geld aus?
Was sind deine Ziele?
Besitze ich zu viel Zeug?
Welche Gedanken gehen mir durch den Kopf?
Du wirst feststellen, dass fast alles was du machst nicht wesentlich ist. Es ändert den Verlauf deines Lebens nicht im geringsten. Häufig ist es instinktiv oder eigentlich das Problem einer anderen Person. Oft bereichert es dich nicht und du wärst glücklicher, wenn du diese Last einfach fallen lässt.
8. Liebe dein Schicksal
Der große deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche hat eine Formel für menschliche Größe aufgestellt: „Amor Fati“ – eine Liebe zum Schicksal.
„Dass nichts anders sein sollte, nicht nach vorne, nicht nach hinten, nicht in alle Ewigkeit. Das Notwendige nicht nur tragen, noch weniger verbergen … sondern lieben“.
Die Begründer des Stoizismus hatten diese Haltung schon zweitausend Jahre früher. Marcus Aurelius prägte einen berühmten Ausspruch: „Ein loderndes Feuer macht aus allem was hineingeworfen wird Flammen und Glanz.“
Sachen gehen schief, das ist eine Tatsache des Lebens. Wie Seneca sagte, verhält sich das Schicksal so wie es ihm gefällt. Sein eigenes Leben war der Beweis dafür. Ein gesundheitliches Problem unterbrach seine Karriere, dann schickte der Kaiser ihn ins Exil und er bahnte sich seinen Weg zurück … nur damit später alles nochmal passierte. Fast alles lag außerhalb seiner Kontrolle. Der einzige Teil, der ihm überlassen war, war wie er diese Ereignisse sehen wollte.
Er entschied sich dafür, sie als eine gute Sache zu sehen, sie zu benutzen und ihnen seinen eigenen Pinselstrich aufzudrücken.
Wie geht ein Verfechter des Stoizismus damit um?
Nicht befördert worden? Gut… Mehr Zeit, um besser zu werden.
Keine Finanzierung erhalten? Gut… Dir gehört mehr von der Firma
Hast du deinen Wunschjob nicht bekommen? Gut … Gehen raus, sammle mehr Erfahrung.
Hast du dich verletzt? Gut… Mach eine Pause vom Training.
Unerwartete Probleme? Gut… Finde eine Lösung.
Das ist ein universelles Rezept des Stoizismus. Ein Rezept für Führung, für Unternehmertum, für Resilienz. Das Leben wird Dinge auf dich werfen. Du bist aber derjenige, der entscheidet, ob er sich hinlegt und von ihnen begraben wird oder Heu aus ihnen macht. Du bist derjenige, der entscheidet, ob du den Kopf in den Sand steckst und hoffst, dass sie verschwinden oder ihnen direkt in die Augen siehst – so schlimm es auch ist – und „gut“ sagst.
Es ist allein deine Entscheidung. Die schlechten Dinge letztendlich als gut zu sehen, ist alles was du im Endeffekt tun kannst.
Du hast nur ein Leben.
9. Sprich mit den Toten
Der Begründer des Stoizismus, Zeno, war noch ein junger Mann als er einen kryptischen Rat erhielt. „Um das beste Leben zu führen“, sagte das Orakel zu Zeno, „solltest du Gespräche mit den Toten führen.“
Was bedeutet das? Was zur Hölle? Musst du auf den Friedhof gehen und mit den Grabsteinen reden? Natürlich nicht.
Das Orakel sprach vom Lesen. Denn durch Bücher sprechen wir indirekt mit den Menschen, die nicht mehr unter uns sind. Ihr Körper mag vielleicht im Boden verrotten oder längst zu Staub geworden sein, aber ihre Gedanken leben auf den Seiten eines Buches weiter.
Harry Truman war einer der passioniertesten Leser, der jemals das weiße Haus bewohnt hatte. Wie ein Freund bemerkte, war für Truman „Geschichte die Männer, die sie gemacht haben und er sprach von Marcus Aurelius, Heinrich von Navarra, Tom Jefferson oder Andy Jackson, als wären sie Freunde und Nachbarn, mit denen er erst kürzlich über die Angelegenheiten gesprochen hatte.“
Das ist die Schönheit und Kraft von Büchern – sie können die Vergangenheit zum Leben erwecken. Unterschiedliche Altersgruppen in deine eigene integrieren. Sie können dich in denselben Raum wie Lincoln versetzen. Du kannst mit Shakespeare reden oder dich von Porcia Cato inspirieren lassen.
Dies zu tun ist nicht beängstigend, im Gegenteil, es ist unglaublich beruhigend. Denn es bedeutet, dass du ständig Zugang zu den weisesten Männern und Frauen hast, die je gelebt haben.
Es ist eine unglaubliche Gelegenheit zu lernen. Wichtige Fragen zu stellen. Etwas beigebracht zu bekommen. Wenn irgendetwas daran beängstigend ist, dann, dass es Millionen von Menschen nicht machen. Sie ignorieren die Toten und hören lieber dem Scheiß am Fernseher zu und lesen den geistigen Müll ihres Twitter-Feeds.
Sei schlau, verhalte dich mutig und rede mit den Toten.
10. Sei streng mit dir selber und tolerant mit anderen
Cato hasste Exzess, Pracht und Luxus und hielt es für Schwäche und Dummheit, solchen Dingen nachzugeben. Was dachte Cato also über seinen Bruder, der in diesen Dingen weitaus weniger streng war?
Er liebte ihn.
Tatsächlich betete er ihn an. Es ist wichtig sich das klarzumachen: Unter den Mitgliedern des Stoizismus herrschten strenge Standards. Aber … und das ist ein großes Aber … „wir müssen denen gegenüber verständnisvoll und vergebend sein, die“, wie Marcus Aurelius schreibt, „von der Wahrheit abgeschnitten waren“.
Der Biograf von Marcus Aurelius, Ernest Renan, erklärt es so: „Die Folge einer strengen Philosophie sind Steifheit und Monotonie. Aber hier erstrahlte das Wesen des Marcus Aurelius in seiner ganzen Brillanz: Seine Strenge beschränkte sich nur auf ihn selbst.“
Das ist genau der Schlüssel. Deine Standards sind für dich. Marcus Regel lautete, streng zu sich selbst und tolerant gegenüber anderen zu sein.
Wir können akzeptieren, dass Menschen die Dinge anders sehen und sie so leben lassen wie sie es wollen (wiederum, solange diese Entscheidungen anderen Menschen nicht schadet). Wir können, um einen alten Ausdruck auszuleihen, die Sünde hassen, während wir den Sünder immer noch lieben.
Denn was sie tun und wie sie wirken, liegt nicht bei uns. Das Gute, das wir in ihnen sehen, liegt in unserer Kontrolle.
11. Stoiker gehen den Weg mit Hindernissen
Eine Möglichkeit durchs Leben zu gehen, besteht darin sich von den Dingen abzuwenden, die schwierig sind. Du kannst deine Augen und Ohren vor dem verschließen, was unangenehm ist. Den einfachen Weg gehen und, wann immer möglich, auf Schwierigkeiten verzichten.
Der andere Weg ist der Weg des Stoizismus. Er baut nicht nur darauf, Schwierigkeiten nicht zu vermeiden, sondern sie vielmehr aktiv zu suchen.
Jemand hat dem jungen Marcus eine Lektion in dieser Richtung erteilt, denn seine Tagebücher sind voll von ähnlichen Passagen. Marcus schreibt darüber wie ein Feuer alles, was hineingeworfen wird, in Flammen aufgehen lässt. Weiter beschreibt er, dass Hindernisse eigentlich Treibstoff sind.
„Das Handlungshindernis fördert das Handeln“, schreibt er, „was im Wege steht, wird zum Weg.“ Es ist eine schöne Art, die Welt zu sehen – und letztendlich die einzige, die für unvorhersehbare und stressige Zeiten geeignet ist.
Schwierigkeiten zu vermeiden, würde einen vollständigen Rückzug aus dem Leben bedeuten. Es würde bedeuten, sich in Unwissenheit zu verstecken. Schlimmer noch, dies würde dich fürchterlich anfällig für Krisen machen. Stattdessen musst du – wie Hadrian sagte – danach streben, das Risiko willkommen zu heißen.
Du kannst dich über das Unerwartete freuen und sogar das Scheitern in etwas Gutes verwandeln, indem du dich entscheidest, es einzugestehen. Wir können aus Unannehmlichkeiten lernen und sogar unsere Abneigungen mildern.
Es ist definitiv nicht einfach. Aber das ist auch normal! Niemand fühlt sich von Natur aus von Hindernissen angezogen … und genau deshalb musst du daran arbeiten sie lieben zu lernen.
Das ist der einzige Weg.
12. Denk immer daran, dass du jeden Tag stirbst
Es ist leicht, den Tod als etwas zu sehen, das in ferner Zukunft liegt. Wir betrachten das Sterben als ein Ereignis, das uns widerfährt. Es ist stationär – egal an welchem Datum es passieren wird – und wir bewegen uns langsam oder schnell darauf zu, abhängig von unserem Alter und unserer Gesundheit.
Im Stoizismus fand man, dass dies der falsche Weg war, darüber nachzudenken. Stattdessen behaupteten die Anhänger, dass der Tod ein Prozess sei – den du gerade jetzt erlebst. Wir sterben jeden Tag. Auch wenn du diesen Text liest vergeht Zeit, die du nie zurückbekommen wirst. Diese Zeit gehört dem Tod.
Mächtig, oder? Der Tod liegt nicht in der Ferne. Sondern vielmehr in jedem Moment bei uns. Der Sekundenzeiger auf der Uhr. Die untergehende Sonne. Während sich der Zeitpfeil bewegt, folgt der Tod und beansprucht jeden Moment, der vergangen ist.
Was sollen wir dagegen tun? Die Antwort ist „leben“. Lebe, solange du kannst. Schieb nichts auf. Lass nichts unvollendet. Ergreif es, solange es noch dir gehört.
Memento mori!
Was sagst du zum Stoizismus?
Interessant oder? Ich finde in diesen zwölf Regeln sind einige wirklich wahnsinnig wichtige Punkte. Meiner Meinung nach muss man bei solchen Sachen nicht versuchen alles eins zu eins anzuwenden oder in das eigene Leben zu integrieren. Aber wenn du nur eine, zwei oder vielleicht sogar drei Sachen für dich mitnimmst, dann ist dein Leben schon wieder um eben mindestens eine Sache besser. Ist das nicht toll?
Falls du dich für weitere stoische Konzepte interessierst, kann ich dir die Seite von Ryan Holiday empfehlen.
Dein Niklas